»Glück und Erfolg waren für ihn kein Wink des Schicksals, sondern eine Lebenseinstellung.« Foto: privat.

Die Welt ist leiser geworden

In Memoriam Heinz-Jacob »Elmo« Wesser (22.11.1948 – 14.12.2020)
Mitgründer der Berliner Firma Wesser-System Service*

Von der Gardinenwäscherei zum erfolgreichen Unternehmen für Sicht- und Sonnenschutz – so könnte die Geschichte des »Wesser System-Service« zusammengefasst werden. Und doch wäre damit nur ein Bruchteil erzählt, denn bis heute ist die Firma vor allem mit einem Namen verbunden: Heinz Wesser, den die meisten eigentlich nur als »Elmo« kannten. Im Jahr 2021 feierte der Wesser System-Service sein 45-jähriges Bestehen. Elmo Wesser konnte das nicht mehr miterleben. Er starb am 14. Dezember 2020.

Ihm zu Ehren kommen Wegbegleiter:innen zu Wort, deren Erinnerungen als behutsame Auswahl zu verstehen sind. Denn Elmo Wesser war sehr vielen Menschen wichtig und weit über den Kiez hinaus bekannt. Die Erinnerungen zeichnen das Bild von einem großzügigen, hilfsbereiten Menschen, für den Optimismus, Glück und Erfolg kein Wink des Schicksals waren, sondern eine Lebenseinstellung. Was bleibt, existiert nun, seinen Blicken entzogen, ohne ihn fort. Und dazu gehört weit mehr als ein Unternehmen, das seinen Namen trägt.

»Sieh es positiv«

Otmar Wesser erzählt, Bruder von Elmo Wesser, Mitgründer des Wesser System-Service (*1950)

»Lass uns eine Gardinenwäscherei eröffnen!« Mit diesem Satz besiegelte ich das unternehmerische Schicksal von Elmo und mir. Es war im Jahr 1975, Elmo arbeitete im Außenhandel für eine Maschinenbaufirma in Nordrhein-Westfalen, wenige Kilometer von unserer Heimatstadt Duisburg entfernt. Ich war als Raumausstatter für eine Gardinen-Spannerei in Kreuzberg tätig. Nach Westberlin hatte es mich schon mit achtzehn verschlagen. Die Stadt war eine Insel, ein Freiraum für Andersdenkende. Und sie war ein Zufluchtsort für Menschen wie mich, die dem Wehrdienst nichts abgewinnen konnten und weit weg von zu Hause nach dem eigenen Leben suchten.

Als ich Elmo am Telefon von meiner Idee erzählte, war er sofort begeistert. Bald darauf ließ er das Rheinland hinter sich und zog mit seiner damaligen Frau und dem drei Jahre alten Sohn Marc nach Berlin. Unsere Gardinenwäscherei nannten wir »Wesser System-Service«. Das allererste Büro richteten wir in meiner Wohnung in der Yorckstraße ein. Mit meiner privaten Waschmaschine fing alles an. Das muss man sich vorstellen! Gleich um die Ecke lag ein Waschsalon, wo wir die eine oder andere Gardine zusätzlich reinigen konnten. Das war praktisch, aber keine Dauerlösung.

 
 

Von Anfang an waren viel Eigenleistung und Engagement gefragt, großes Startkapital hatten wir nicht. Um an Aufträge zu kommen, schalteten wir unter anderem eine Anzeige in der B. Z. Trotzdem blieb das Telefon manchmal tagelang stumm.

Zu unserem Service gehörte nicht nur das Waschen der Vorhänge und Gardinen, sondern auch das Abnehmen und Aufhängen, zu Hause bei den Kunden. Eines Tages fuhr ich dafür in eine Villa nach Grunewald – eigentlich nichts Besonderes, dachte ich. Als ich zurück ins Büro kam, fragte mich Elmo, mit einem breiten Grinsen im Gesicht: »Weißt du denn, wem du da gerade die Gardinen abgenommen hast?«

Das bisschen Haushalt …

Es war keine Geringere als die Schlagersängerin Johanna von Koczian gewesen. Ich hatte natürlich keine Ahnung, dabei dudelte ihr Lied damals auf allen Radiokanälen: Das bisschen Haushalt …

Ein paar Jahre später füllten sich unsere Auftragsbücher so rasch, dass wir uns nach größeren Räumen umsehen mussten. Durch Zufall erfuhren wir vom Verkauf eines Altbaus in der Pücklerstraße, im SO 36, am östlichen Rand von Kreuzberg, nur wenige Meter von der Mauer entfernt. […]

Dort hatten wir nun ausreichend Platz für große Industriewaschmaschinen. Die brauchten wir auch, denn wir konnten Kunden wie die Sparkasse und das Pharmaunternehmen Schering gewinnen. Das war ein Sechser im Lotto, denn das Gebäude war 15 Etagen hoch, und jede einzelne Etage war mit großzügigen Fensterfronten ausgestattet. Das bedeutete: Hunderte von Gardinen und Vorhängen, die in regelmäßigen Abständen gereinigt werden mussten. Und weil das nicht mit Fleiß allein zu schaffen war, stellten wir bald die ersten Mitarbeiter ein. Später nahmen wir auch Rollos und Markisen in unser Angebot auf, nicht nur die Reinigung, auch die Montage und Reparatur – und so wurde im Laufe der Zeit aus der Gardinenwäscherei Wesser eine Firma für Sicht- und Sonnenschutz.

 

Elmo Wesser im Jahre 1981

 

Nach dem Mauerfall standen die Zeichen standen auf Aufbruch – auch für Elmo und mich. Im brandenburgischen Netzeband kauften wir ein Grundstück, so groß wie drei Fußballfelder. Heute ist das Dorf für seine Theatersommer-Festspiele überregional bekannt. Damals war es ein ausgestorbener Ort, die meisten Häuser dem Abriss geweiht. Zu unserem Grundstück gehörte ein alter, heruntergekommener LPG-Hof mit einer riesigen Scheune. Mehrmals in der Woche fuhren wir von Berlin nach Netzeband, jeden Stein drehten wir einzeln um und packten mit an. Stück für Stück verwandelten wir die Ruine in ein kleines Schmuckstück.

Die Kindheit lebt fort

Vielleicht lebte in Netzeband ein Teil unserer Kindheit fort. Elmo und ich sind im Rheinland aufgewachsen, in einem großen Haus mit Garten, umgeben von Wäldern und weiten Feldern, wo wir Buden bauten und mit den Kaninchen spielten. Netzeband war für Elmo dieser Ruheort aus Kindertagen, es wurde sein zweites Zuhause.

In den Neunzigern zog ich mich aus dem Geschäft zurück, Elmo führte die Firma allein weiter und manövrierte sie unbeschadet durch so manche Wirtschaftskrise. Mit seinem Akquise-Talent gelang es ihm, weitere Großkunden zu gewinnen. »Keiner ist besser als Wesser« – das würde Elmo jetzt wohl sagen. Denn diesen Satz wiederholte er, wann immer sich die Möglichkeit bot. Er war ein Magnet. Wenn wir gemeinsam in die Eisenbahnmarkthalle in Kreuzberg gingen, oder ins KaDeWe, dann dauerte es nicht lange und es hatten sich mehrere Verkäufer um ihn herum versammelt. Dann wurde gescherzt und laut gelacht.

Vielleicht währte in ihm ewig Sommer

Er wusste das Leben mit allen Sinnen zu genießen. Diese Einstellung hat auch mich geprägt. Wenn mir Sorgen auf der Seele lagen, war er es, der mir Mut zusprach. Er sah in jeder Situation das Licht, nicht den Schatten. Vielleicht währte in ihm ewig Sommer. Und vielleicht war das auch der Grund, weshalb er sich selbst und seine gesundheitlichen Probleme nie besonders ernst nahm. Am Ende blieb ihm viel zu wenig Zeit.

Vor Kurzem las ich, was Menschen am Ende ihres Lebens am meisten bedauern: verpasste Gelegenheiten, ein Leben gelebt zu haben, wie es andere von ihnen erwarteten. Auf Elmo trifft das nicht zu. Er ist sich selbst stets treugeblieben und traf die Entscheidungen, die er für richtig hielt. Er war glücklich und genau so werden wir ihn in Erinnerung behalten.

 
 

»Immer für euch da«

Frank Lüdecke, langjähriger Mitarbeiter und Betriebsleiter des Wesser System-Service (*1964)

Den Namen Wesser hörte ich das erste Mal 1986 – von meiner zuständigen Sachbearbeiterin im Arbeitsamt. Ich suchte einen Job, die Gardinenwäscherei Wesser System-Service brauchte einen Raumausstatter, dieses Handwerk habe ich gelernt. Mir leuchtete zwar nicht sofort ein, was ein Raumausstatter bei einer Gardinenreinigung tun würde, aber schnell wurde mir klar: Die Firma legte Wert auf Qualität. Sie hatte anspruchsvolle Kunden und wollte, dass die frisch gereinigten Gardinen von einem Experten aufgehängt und dekoriert werden.

Vom ersten Tag an fühlte ich mich wohl. Ich erinnere mich noch gut an den Laden in der Pücklerstraße, an die alte Remise im Hinterhof. Im Erdgeschoss standen auf zwei Stahlträgern fünf schwere, wuchtige Waschmaschinen, hintereinander auf Schienen. Überall roch es nach Waschmittel, an manchen Tagen auch nach Chemie, meist dann, wenn wir für Schering Duschvorhänge reinigten.

Was mir an Elmo sofort auffiel, war seine kraftvolle Stimme. Bevor man ihn sah, hörte man ihn – und das schon von Weitem. Mit der Zeit übertrug er mir in der Firma immer mehr Verantwortung. Ich wurde Ansprechpartner für Kunden und hatte bald inoffiziell das Amt des Betriebsleiters inne.

Elmo und mich verband mehr als nur die Arbeit. Mit seiner fürsorglichen Art war er wie ein Vater für mich. Ich war sein »Frankie Boy«. Nicht selten zogen wir nach Feierabend zusammen um die Häuser und als ich in die Pücklerstraße nach Kreuzberg zog und wir Nachbarn wurden, fand keine Feier ohne den jeweils anderen statt.

So wie unser Arbeitsverhältnis war auch unsere Freundschaft von Vertrauen geprägt, von Verständnis, auch und vor allem für die Eigenarten des anderen. Elmo hat mir vieles mitgegeben, vor allem: das Gute in den Dingen zu sehen. »Besinne dich auf das, was du hast.« Das hat er oft gesagt. Meist hörte er auch einfach nur zu. In seinem Whatsapp-Profil stand: »Immer für euch da.«

Mit beiden Beinen im Leben

Zu den Dingen, die ihm Freude bereiteten, gehörten nicht nur seine Arbeit, ein guter Gin, sein roter Porsche-Trecker in Netzeband und alte Radios. Er liebte Chuck Berry und Schlager, und er liebte das Reisen. Er suchte immer neue Impulse. Fand sie in Menschen, Gesprächen, Büchern. Er war nicht der Typ, der sich sagte: Jetzt bin ich 65, jetzt lege ich die Beine hoch. Im Gegenteil. In den letzten Jahren gab er noch mal richtig Gas. Montagfrüh war er oft der Erste im Büro, telefonierte und verschickte Mails. Es war ihm immer wichtig, am Puls des Geschehens zu sein.

Elmo stand mit beiden Beinen so sehr im Leben, dass er an dessen Ende vermutlich nicht dachte. Irgendwann klagte er über Unwohlsein. Weil sein Zustand nicht besser wurde, ging er zum Arzt. Es folgte ein Terminmarathon, ich begleitete ihn. Im Oktober 2020 stand eine radiologische Untersuchung an. Es war ein warmer Herbsttag, das weiß ich noch, abends halb acht. Ich wartete am Eingang des Ärztehauses auf ihn, als er zur Tür hinaustrat, mir die Hand auf die Schulter legte und fragte: »Frankie, bist du tapfer?« Ich hörte die Worte, die folgten, aber wirklich realisieren konnte ich sie erst später: »Ich weiß nicht, wie lange ich noch leben werde.« […]

»Der beste Vater, den man sich wünschen kann«

Marc Wesser, Sohn von Elmo Wesser, Rechtsanwalt & Inhaber des Wesser System-Service (*1972)

Ich war drei Jahre alt, als mein Vater und Onkel Otmar in Berlin-Kreuzberg eine Gardinenwäscherei eröffneten. Meine ersten Erinnerungen setzen im Laden in der Pücklerstraße ein. Anfangs brachten sie dort hauptsächlich Stores wieder zum Leuchten. Diese halbtransparenten Gardinen mit Gittermuster sieht man heute kaum noch, aber in den Achtzigern hingen sie vor jedem Bürofenster. Und weil damals noch viel in Innenräumen geraucht wurde, sahen die Gardinen meist ziemlich oll aus. Hin und wieder kamen auch Menschen aus der Nachbarschaft in den Laden, mit prall gefüllten Aldi-Tüten voller Schmutzwäsche. Da schüttelten mein Vater und Onkel Otmar den Kopf: »Kleidung waschen wir nicht. Wir sind eine Gardinenreinigung!«

Wer heute aufmerksam durch die Pücklerstraße geht, erkennt an der Fassade über der Hausnummer 35 noch den Schriftzug der Firma – und »EW«, die Initialen meines Vaters, der eigentlich Heinz-Jakob hieß. Wie er zu dem Namen Elmo kam? Das hat nichts mit dem Kuscheltier aus der Sesamstraße zu tun. Frühere Arbeitskollegen meines Vaters hatten ihn so getauft, weil er wohl ähnlich abstehende Haare hatte wie die Hauptfigur der US-amerikanischen Comicserie Blondie, die in den Fünfzigern in westdeutschen Zeitungen abgedruckt wurde. Mein Vater übernahm diesen Spitznamen und stellte sich fortan selbst so vor: »Ich bin Elmo – und schwer in Ordnung.«

»Wenn man kein Glück hat, lohnt es sich nicht, morgens überhaupt aufzustehen.«

Er lebte mir das Unternehmerdasein im besten Sinne vor. Keine Angst zu haben. Risiken zu wagen und stets daran zu glauben, dass es für alles eine Lösung gibt. Vor ein paar Jahren sagte er beiläufig: »Wenn man kein Glück hat, lohnt es sich nicht, morgens überhaupt aufzustehen.« Mit dieser Haltung ging er durch den Tag – und durchs Leben.

Familie hält zusammen, das habe ich immer gespürt. Das änderte sich auch nicht mit der Trennung meiner Eltern, als ich zehn Jahre alt war. Auch als meine Mutter zwanzig Jahre später starb, war es für meinen Vater selbstverständlich, für mich da zu sein. Und so war auch mir nach seinem Tod klar, dass ich seine Firma bestmöglich und in seinem Sinne weiterführen werde. Das erfüllt mich mit Zufriedenheit, weil ich weiß, wofür der Name meines Vaters steht.

Immer auf dem Weg zu neuen Zielen

Er war ein Mann wie ein Baum. Vor einigen Jahren stimmte er mich am Telefon etwas unruhig. Er erzählte, dass er seit einigen Tagen erschöpft und müde sei. Ich riet ihm, zum Arzt zu gehen, aber er wiegelte ab: »Das ist nicht nötig. Mir steckt nur der Umzug der Firma in den Knochen.« Umzug? Ich verstand das nicht sofort, weil er sich beruflich eigentlich zurücknehmen wollte. »Ich habe es mir anders überlegt. Ich werde noch mindestens fünf Jahre weiterarbeiten!« Kurzerhand hatte er den Firmensitz von der Pücklerstraße in die Lindenstraße verlegt. So kannte ich ihn, immer auf dem Weg zu neuen Zielen.

In seiner Freizeit war er nicht minder umtriebig. Das brandenburgische Dorf Netzeband lag ihm am Herzen. Er gehörte zu den wichtigsten Förderern des Theatersommers. Vor ein paar Jahren bekam er darin sogar eine kleine Rolle, in Shakespeares »Der Widerspenstigen Zähmung«. Er sagte nur wenige Sätze, aber trotzdem war er vor der Aufführung sehr nervös – und dann umso stolzer, als genau diese Szene in einem Fernsehbeitrag des RBB ausgestrahlt wurde.

Jeden Freitag und Samstag trommelte er Freunde und Bekannte zusammen, um in der Kneipe von Rainer Jeetz zu knobeln. Nicht nur, weil sich der urige Ort dafür besonders anbot, sondern weil ihm daran gelegen war, den Treffpunkt im Dorf zu unterstützen.

In der Traueranzeige für meinen Vater schrieben wir: »Die Welt ist leiser geworden.« Ich finde, sie ist auch langweiliger geworden. Ich glaube, dass mich mein Vater immer für schüchtern hielt – was verwunderlich ist, weil ich bei Freunden und Kollegen eigentlich als Quasselstrippe bekannt bin. Wenn er in eine Kneipe ging, kannten ihn am Ende des Abends alle und die Hälfte duzte ihn. Obwohl er gerne und viel erzählte, war er ein guter Zuhörer und genauer Beobachter. Er wusste es, Menschen in Sekundenschnelle zu erfassen und ihre positiven Seiten zu stärken. Das hat er auch in meinem Fall getan und so kann ich an dieser Stelle nur wiederholen, was ich in meiner Rede zu seinem siebzigsten Geburtstag sagte: »Er war der beste Vater, den man sich wünschen kann.«

[…]

 

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